Von einer Hausgeburt

Meine Frau wünschte sich von Anfang an eine Hausgeburt und ich, der mehr und mehr die Geheimnisse natürlicher artgerechter Lebensgestaltung abseits stereotyper und gelenkter Massenrituale entdeckte und leben wollte, konnte mich darüber nur freuen. Sie las Bücher von und über Frauen, die ihre Kinder alleine zu Hause oder auch im Wald auf die Welt gebracht hatten, in tiefer spiritueller Überzeugung, in Demut und Glauben an ihre innere Kraft. Auch ich fing an, vergriffene und nicht mehr neu aufgelegte Literatur von Hebammen, die Hausgeburten empfahlen und betreuten, zu lesen. Still und leise ist das Ritual der Geburt in einen halbstandardisierten traumatischen Krankenhausablauf umroutiniert worden, das sich der moderne technokratische Mensch kaum noch anders vorstellen kann. Berichte über Kaiserschnitte und Betäubungen, weggeschlossene Männer etc. werden unreflektiert als Erfahrungsberichte hingenommen und ja, vielleicht hat es nicht anders sein mögen.
Vielleicht aber doch, sofern es der Wunsch und die tiefe Überzeugung der Frau ist. Dieses Terrain kann von einem Mann nicht anders betreten sondern nur demütig begleitet werden. Im Grunde kann er nur da stehen und zusehen, staunen und bezaubert sein, welche Wunder abseits gesellschaftlicher Normen zu finden sind, wenn man fest daran glaubt und vertraut. Beides spürte ich sehr stark in meiner Frau und ich freue mich sehr, hier als Mann darüber zu schreiben.

I
In einer Samstagnacht einige Tage vor dem Geburtstermin begann in meiner Frau ein leichtes Ziehen, das unsere Hebamme telefonisch als Vorwehen identifzierte und meinte, es könnte morgen soweit sein, aber auch erst in zwei Wochen.
In der Nacht darauf wachte ich gegen ein Uhr morgen auf und fand meine Frau konzentriert atmend vor einem Stuhl knien. Sie bestand darauf, den angemieteten Geburtspool vorzubereiten. Ihr Tonfall war ruhig und bestimmt, so dass ich genau wusste, worum es ging, auch wenn ich selbst so meine Zweifel hatte von den vielen Erzählungen, wie Erstgeburten so abliefen und wie lange sie dauerten.
Anfangs wollte ich sie noch mit Zureden und Berührungen begleiten, so wie wir es in einem Hypno-Birthing-Vorbereitungskurs empfohlen bekommen hatten, aber es stellte sich schnell heraus, dass es für sie leichter war, wenn wir darauf verzichteten. Sie war ganz von sich aus in Hypnose, so dass wir kaum gelernte Techniken brauchten. Ich ließ den Pool, der nicht mehr war als ein praktisches und robusteres Planschbecken, eher halbherzig ein, worauf ich einen kritischen Blick meiner Frau erntete. Mein erster Gedanke war immerhin, dass das Wasser sicher kalt sein würde, ehe es wirklich so weit war. Ich hatte oft keine besondere praktische Veranlagung, was solche Angelegenheiten betraf, nachdem sie es sich aber relativ schnell darin bequem gemacht hatte und sichtlich entspannter fühlte, sorgte ich dafür, dass immer wieder warmes Wasser zugeführt und bestehendes abgeleitet wurde. Das erforderliche Equipment hatten wir von unserem Geburtshaus mitbekommen. Das war im Grunde die einzige Aufgabe, die ich die Nacht über inne hatte. Meine Frau atmete konzentriert dahin und ich hockte aufmerksam neben ihr.

II
Die Anweisungen der Hebamme hatten gelautet, so lange bis zum nächsten Anruf zu warten, bis die Schmerzen nicht mehr erträglich seien. Irgendwann in den frühen Morgenstunden entschied ich, nachdem weder meine Frau noch ich genau einschätzen konnten, wo wir standen, dennoch anzurufen. Ich hatte den Eindruck, dass sie in ihrer beschwerlicher gewordenen Atmung bereits presste und das kam mir in meiner Wahrnehmung reichlich früh vor, denn es waren noch keine drei Stunden vergangen. Weder meine Frau noch ich konnten ahnen, dass wir uns aus der sogenannten Öffnungsphase bereits in die Geburtsphase bewegt hatten. Die Hebamme versicherte mir, dass sie sich nun auf den Weg machen würde und ich ja inzwischen schon mal „nachsehen“ könnte. Sehen konnte ich aufgrund des trüben Wassers, der Stützstellung meiner Frau am Beckenrand und des dämmrigen Lichts rein gar nichts. In meiner Handfläche fühlte ich allerdings bereits etwas Großes, Weiches, das mich ziemlich erschreckte.
Die zeitliche Abfolge zu dieser Zeit ist mir leider in Anbetracht der magischen Energie, die sich aufgebaut hatte, kaum mehr zugänglich, auch wenn ich kurze Zeit hinterher soviel wie möglich notierte. Was ich erfahren durfte, überstieg jegliche mir bekannte mündliche und schriftliche Erzählung. Ich fühlte im trüben lauwarmen Wasser deutlich eine runde Form und kurz darauf eine Gliedmaße. Das Zimmer war abgedunkelt, nur schummriges Licht, der nasse Rücken meiner Frau vor mir und ich nur angewiesen auf meinen Tastsinn. Ich konnte zuerst nicht zwischen Bein, Arm und Nabelschnur unterscheiden, obwohl mir klar war, dass wohl schon von allem etwas DA war. DA. Und es ging sehr schnell.
Ich fühlte diesen weichen zarten Körper in meinen Händen und leistete eine Art Beihilfe mit leichtem Zug aber auch wieder nicht, mit einfachem Halten und Spüren und einer so großen Ehrfurcht und Vorfreude, dass ich innerlich förmlich gluckerte. Die Zeit stand für eine Weile absolut still und ich hatte das Gefühl, die Ewigkeit zu berühren.
Einige Minuten, bevor die Hebamme schließlich läutete, hielten wir unseren Sohn in einer Art gemeinsamen Umarmung im Becken, vorsichtig herumwurschtelnd um ihn nicht zu beschädigen, staunend, was uns da aus tiefen dunklen und ebenso überraschten Augen anstarrte und sogar kurz grinste.

III
Es war uns etwas passiert, das wir nie für möglich gehalten hätten. Eine Geburt ganz für uns. In allen weiteren Schritten half uns glücklicherweise die Hebamme weiter bis hin zur Abnabelung und Gewichtsermittlung.
Von einigen Hausgeburten hört man, dass sie dennoch im Krankenhaus enden. Auch das ist ein Weg, der möglich ist und gegangen werden muss, wenn es die Situation erfordert. Entscheiden wie und ob man sich vorbereitet, muss jeder für sich. Ich bin sehr stolz auf diese Weise berichten zu können. Bei manchen Zuhörern habe ich bemerkt, wie sie entweder schwiegen oder sogar Entsetzen ausdrückten, andere haben sich über alle Maßen mit uns gefreut. Diese Spektren gibt es auf der Welt. Von Erzählungen weiß ich, dass mein Vater bei meiner Geburt nicht dabei war. Ich habe Fruchtwasser geschluckt und war sogar eine Woche von meiner Mutter getrennt. Mein Verlangen nach einer heimeligen Geburt voller Wärme und Vertrauen war mir sehr wichtig, erzwingen lässt sich da natürlich gar nichts.
Immer, wenn ich mich an die Geburt von unserem Sohn erinnere, erfüllt mich dieses Gefühl der Dankbarkeit und Demut, das ich jenen Menschen da draußen wünsche, die sich fürchten, neues Terrain zu betreten. Liebt und vertraut. Betet. Bereitet euch vor. Erwartet das Unerwartete.