Erziehungsmüdigkeit

Bei aus Schlaflosigkeit resultierender Anspannung verschieben sich in meinem Nacken einzelne Wirbel, die einen hauchigen unscheinbaren jedoch beträchtlich nagenden Nervenschmerz in meinem Kopf auslösen, der mich so langsam am Rande des Wahnsinns balancieren lässt wie auf dem Grat eines Berges. Ein Windstoß könnte reichen.
Gelegentlich summiert es sich und dann bin ich darauf aus, jede Unze Schlaf zusammenzusammeln wie das Geld für den Fahrscheinautomaten. Um zumindest eine kompakte durchgängige Menge ohne weitere Zwischenstopps zu erhalten.

Mit der vollständigen Verdunkelung durch die Rollläden in der Ferienpension (zuhause haben wir nur Jalousien) dachte ich ernsthaft, wir hätten wieder einmal einen Vorteil. Diesmal aber nicht. Punkt sechs Uhr regiert unser Sohn das Bett, schlägt auf den Lichtschalter und prellt mir Stadionbeleuchtung durch meine verschlafenen Lider. Sein niedliches Entdeckergemurmel, das er oft um diese Uhrzeit preisgibt und das absolut zauberhaft wirkt, verblasst nun ohne jegliche Wirkung, die seelische Marter der Erschöpfung frisst wie ein großes Maul an mir und während meine Freundin in einer unverwüstlichen Diplomatie und beneidenswerten Freundlichkeit ihren Ton hält, kollabiere ich innerlich Schritt für Schritt um mich dann sofort wieder aufzurichten, allerdings nicht ganz so hoch wie zuvor. Es gibt eben Tage, da fühle ich mich wie der Größte, meist gefolgt von denen, wo ich so klein bin, dass ich kaum noch sichtbar bin.
Ich würde gerne glanzvollere Dinge notieren, aber es wäre glatt gelogen und obwohl ich gerne flunkere und poetisiere, kann und will ich den Kern meiner Empfindungen nicht verbergen. Ich stamme wie viele aus jener Wohlstandsgeneration, der es noch immer so wichtig ist, eine Fassade der Makellosigkeit aufrecht zu erhalten, der steten Lösungen und beinahe zwanghaft schnellen Antworten auf jedwede Frage, aber es ist mir zu einem persönlichen großen Bedürfnis geworden, Anstrengungen und Hilflosigkeiten aus dem Augenblick heraus zu erfassen und zu beschreiben, meiner Seele sozusagen Luft und Raum zu geben um der verbreiteten Schnelllebigkeit und dem Korsett des Materialismus zu entkommen, ebenso wie dessen vorgefertigten, eintönigen monokulturellen Lösungen, die verseucht sind mit seelischer Verkümmerung, Phantasielosigkeit und Langeweile.
Hauptsächlich deshalb, weil diese Fassade meine Anspannung noch weiter erhöht und mich nicht wie viele andere erleichtert. Ich bin inzwischen richtig allergisch gegen Zucker, Alkohol, sedative Medien und andere gesellschaftlich etablierte Drogen, die einem im Alltag um die Ohren gepfeffert werden.
Ich atme ganze Städte aus um die Anspannung loszuwerden. Manche Zeilen in Büchern lese ich wie Fluchtformeln aus meiner ermüdenden Konzentration um Halt zu finden. Stabile Sätze, die begreifbare Wirklichkeiten aufspannen, während ich selbst meiner Anspannung erliege.
Mir fiel beispielsweise wieder die junge deutsche Autorin namens Simone Hirth ein, die vor einigen Jahren im Linzer Stifter Haus ein Buch mit dem Titel „Das Loch“ präsentierte, in dem sie ihre Erfahrungen und Überforderungen als Mutter schildert, dabei einer neuen Wut begegnet aber auch einem neuen Optimismus.
Um auf meinen Sohn zurückzukommen: Sein Entdeckerdrang beeindruckt mich in dem Maße, wie er mich oft überfordert. Er riskiert ständig Kopf und Kragen und ich muss zumindest abwägen, wenn auch nicht pausenlos eingreifen. Er ist sehr geschickt und auch sehr selbstständig. Trotzdem. Wenn ich nicht mehr kann, kündige ich an, ihn zu zerlegen und später wieder zusammenzubauen. Wirklich. Das hilft. Meine Verzweiflung ist ausgesprochen. Eine charmante Drohung ist mir gelungen. Er zeigt sich mit einem begeisterten Ja damit einverstanden. Man kann schließlich zumindest schon ein bisschen mit ihm reden.

Mal um Mal bemühe ich mich, im Garten eine schillernde Seifenblase aus einem vorbereiteten Teller mit Seifenlauge zu ziehen. Nur mühsam schafft es gelegentlich eine in die freie Luft. Viele zerplatzen schnell oder schon ehe sie den Ring verlassen Vielleicht ist auch die Lauge noch nicht richtig gemischt. Die Früchte des Vaterseins sind eben nicht ununterbrochen reif und gelungen, aber man freut sich an einzelnen vollkommenen Exemplaren, die zwischendurch auftauchen.